1.1 Territorialitätsprinzip

Nationale Gesetze haben ausserhalb des jeweiligen Staatsterritoriums keine Gültigkeit: Sind an einem Sachverhalt mehrere Staaten beteiligt, braucht man daher ein Kriterium, wie der Sachverhalt an ein bestimmtes Gesetz geknüpft werden kann, das dann auf den jeweiligen Fall angewendet werden kann. Möglich sind sowohl subjektive Anknüpfungskriterien (z. B. Nationalität der involvierten Person) als auch objektive Kriterien (z. B. Ort, an dem die Leistung erbracht wird oder an dem der Schaden eingetreten ist).

In diesem Fall werden die zuständigen Gerichte zunächst prüfen, ob die beteiligten Länder internationale Verträge abgeschlossen haben, die Regelungen für solche Situationen vorsehen. Gibt es keine solchen Verträge, müssen die zuständigen Gerichte ihre jeweils nationalen Gesetze prüfen, ob es sogenannte “Regelungen des internationalen Privatrechts” gibt; das sind Regelungen, die die Lösung von derartigen Kollisionen der verschiedenen Rechtsordnungen vorsehen. In solchen Bestimmungen werden in der Regel Anknüpfungskriterien aufgeführt, nach denen sich dann bestimmen lässt, welches anwendbare Recht (z.B. welches nationale Urheberrecht) dann für den entsprechenden Sachverhalt in Frage kommt.

ZU BEACHTEN

Internationales Privatrecht ist nationales Recht

Für die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist das internationale Privatrecht massgebend. Allerdings handelt es sich dabei, anders als die Bezeichnung vermuten liesse, nicht um ein internationales, sondern vielmehr um ein nationales Recht.

Folglich gilt es, zuerst das anwendbare internationale Privatrecht zu bestimmen. Zu diesem Zweck muss zuerst festgelegt werden, welches Gericht für die Beilegung des Rechtsstreits zuständig ist (Gerichtsstand). Das zuständige Gericht wendet anschliessend das internationale Privatrecht seiner eigenen Rechtsprechung an, um die allfällige Kollision verschiedener Rechtsordnungen zu beseitigen.

Beispiel: Ist ein englisches Gericht zuständig, so wendet es das in England geltende internationale Privatrecht an. Das führt aber nicht zwingend dazu, dass das englische Gericht auch das englische Urheberrecht anwendet. So kann das englische Gericht zwar für die Beilegung des Rechtsstreits zuständig sein (z. B. aufgrund des Wohnsitzes der oder des Beklagten). Angesichts der vorgelegten Tatsachen kann es dann aber sein, dass das englische Gericht schweizerisches Recht anwenden muss (z. B. weil die Parteien schweizerischer Nationalität sind und es sich beim Streitfall um ein Werk handelt, das in der Schweiz entstanden ist und in die Schweiz ausgeliefert wurde).

GUT ZU WISSEN

Territorialitätsprinzip und Schutzlandprinzip

Jeder Staat verfügt über hoheitliche Befugnisse, das heisst, auch über das Recht, Normen zu erlassen. Das Recht ist also an ein Territorium gebunden, es gilt für einen Staat oder lediglich für eine begrenzte geografische Zone (“Territorialitätsprinzip”).

Da es im Bereich des Urheberrechts kein international gültiges Gesetz gibt, haben wir es mit einer Aneinanderreihung verschiedener, nebeneinander existierender nationaler Gesetze zu tun.

Die Befugnis, Gesetze zu erlassen, liegt zwar bei den einzelnen Staaten. Doch können diese untereinander internationale Abkommen schliessen und damit also gewissermassen «Gesetze» schaffen, die auf verschiedene Staaten anwendbar sind und verschiedene Ziele erfüllen. In erster Linie geht es dabei darum, die Gesetzgebung der Vertragsstaaten durch Verabschiedung gemeinsamer Grundsätze zu harmonisieren. Es handelt sich dann um «Völkerrecht». Ein internationales Abkommen kann aber auch abgeschlossen werden, um gemeinsame Regeln für die Bestimmung der zuständigen Gerichte zu definieren, Lösungen für Kollisionen verschiedener Rechtsordnungen festzulegen und die Rechtsstellung von Ausländern zu regeln. Es handelt sich dann um «internationales Privatrecht». Im Bereich der Urheberrechte gibt es zahlreiche internationale Abkommen, allerdings mit unterschiedlichen Geltungsbereichen. Ein wesentliches Abkommen ist die sog. Revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 25.09.1993 (RBÜ – Berner Übereinkunft).

Ein Abkommen, das die Beseitigung von Kollisionen verschiedener Rechtsordnungen regelt, ist aber nicht immer vorhanden. Einerseits kann jeder Staat eigene nationale Regeln zum internationalen Privatrecht, die bei internationalen Sachverhalten zum Tragen kommen, verabschieden. Andererseits kann es vorkommen, dass zwar ein Abkommen vorliegt, dieses aber von jedem Staat anders ausgelegt wird. So verhält es sich z.B. bei der vorgenannten Berner Übereinkunft in Bezug auf den dort geregelten Art. 5.

Was nun das Urheberrecht anbelangt, hat eine Mehrheit von Staaten zur Lösung von Kollisionen das sog. Schutzlandprinzip angenommen. Nach diesem ist bei Urheberrechtsfragen das Recht desjenigen Staates anzuwenden, für dessen Gebiet der Schutz beansprucht wird (in der Regel Recht des Staates, in welchem das Werk genutzt wird). Dieses Schutzlandprinzip ist eine Konkretisierung des vorgenannten Territorialitätsprinzips.

Eine ähnlich lautende Bestimmung findet sich in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Berner Übereinkunft. Nach gewissen Lehrmeinungen umschreibt also Artikel 5 Abs. 2 Satz 2 der Berner Übereinkunft das Schutzlandprinzip. Das sehen jedoch nicht alle Lehrmeinungen oder Staaten gleich. So gibt es z.B. wiederum Bestimmungen in anderen Staaten, dass bei Kollisionen von verschiedenen Rechtsordnungen das Gesetz des Herkunftslandes des Werks anwendbar ist, insbesondere wenn es festzustellen gilt, ob die Schutzvoraussetzungen bei dessen Erschaffung erfüllt waren.

Kommt es also bei urheberrechtlichen Fragen zu einer Kollision von Rechtsordnungen gilt es zu prüfen, ob die involvierten Staaten das Schutzlandprinzip im Falle eines internationalen Sachverhalts anwenden.

Unterschiedliche Auslegungen der Berner Übereinkunft

Artikel 5 der Berner Übereinkunft verpflichtet die Vertragsstaaten, Angehörigen der anderen Vertragsstaaten die gleichen Rechte einzuräumen wie den eigenen Staatsangehörigen (Art. 5 Abs. 1 RBÜ). Dieser Schutz richtet sich dann nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem der Schutz beansprucht wird, unabhängig davon, ob im Ursprungsland das Werk überhaupt geschützt wird (Art. 5 Abs. 2 RBÜ). In der Lehre herrscht allerdings über die Auslegung dieser Bestimmung Uneinigkeit:

  • Einige sehen darin das Schutzlandprinzip” bestätigt und schliessen daraus, dass bei Urheberrechtsfragen das Urheberrecht jenes Staates anwendbar ist, in dem das Werk genutzt wird (und auf dessen Gebiet der Schutz beansprucht wird).
  • Andere aber sehen darin nur eine Bestimmung, die die Rechtsstellung von Ausländern regelt und demnach insbesondere folgende Konsequenzen nach sich zieht:
    • Anwendung des Prinzips der Gegenseitigkeit: Werke, die im Staat A von einem Angehörigen aus Staat B geschaffen wurden, sind urheberrechtlich geschützt, wenn Staat B auf seinem Gebiet die Werke von Angehörigen von Staat A ebenfalls schützt.
    • Anwendung des nationalen internationalen Privatrechts: Im Falle einer Kollision verschiedener Rechtsordnungen auf dem Gebiet von Staat A, wendet A sein internationales Privatrecht an. Gemäss diesem kann dann das Recht des Ursprungslandes des Werks zur Anwendung kommen oder aber das Recht von Staat A.

Der Gesetzgeber und die Richter der einzelnen Staaten können sich folglich auf die Seite der Verfechter einer der beiden Positionen schlagen.

Wie sich internationale Abkommen auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts auswirken, lässt sich exemplarisch an zwei Urteilen des französischen Kassationshofs vom 10. April 2013 (Pourvoi n°11-12.508 und 11-12.509) darstellen: 1978 wurde ein französischer Kameramann von einer US-amerikanischen Firma eingestellt. Ab 1993 arbeitete er in der französischen Niederlassung der Firma. Nach seiner Kündigung im Jahr 2004 machte er gegenüber seinem Arbeitgeber Ansprüche wegen Verletzung seiner Urheberrechte geltend. Die Gerichte der unteren Instanzen legten das internationale Privatrecht dahingehend aus, dass das Recht des Ursprungslandes des Werks anzuwenden sei. Nach US-Recht allerdings gehen die Urheberrechte für Werke, die im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses geschaffen wurden, an den Arbeitgeber über. Demzufolge konnte der Kameramann keinerlei Ansprüche mehr geltend machen. Der französische Kassationshof dagegen kam zum Schluss, Art. 5 Abs. 2 RBÜ beziehe sich auch auf die Schaffung des Werks, und in diesem Streitfall komme folglich nationales Recht (d.h. französisches Recht) zur Anwendung. Da es im französischen Urheberrecht keine Bestimmungen gibt, wonach die Urheberrechte an Werken, die im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses geschaffen werden, an den Arbeitgeber übergehen, gab der Kassationshof letztlich dem Kameramann Recht.

FAQ

1.1-2 Welches sind die Herausforderungen bei der Bestimmung des anwendbaren nationalen Rechts?

Die unterschiedlichen nationalen Gesetze zum Urheberrecht sind nicht gleich: Es gibt Gesetze, die ein Werk schützen, während andere ihm diesen Schutz absprechen, etwa weil das Merkmal der Originalität fehlt oder weil die Schutzfrist in einem Staat abgelaufen ist (in der Schweiz etwa erlischt der Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen nach 50 Jahren), weil die Schutzfristen zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnen, weil es unterschiedliche Rechteinhaber gibt (siehe zum Beispiel die französische Sonderregelung für Gemeinschaftswerke) oder weil unterschiedliche Ausnahmen zum Urheberrecht gelten usw. Es gibt also zahlreiche Aspekte, die je nach Staat anders gehandhabt werden.