Fall 1 – Verbreitung von wissenschaftlichen Artikeln

Matthias ist Professor für Mikroökonomie an der USI (Università della Svizzera italiana). Für seine Vorlesung möchte er an seine Studenten einen wissenschaftlichen Artikel der Harvard Business Review verteilen. Es handelt sich dabei um einen Artikel, den er in Papierform (Print-Version) für seinen eigenen privaten Gebrauch erworben hat. Die Nutzungsbedingungen der Harvard Business Review verbieten ausdrücklich jegliche Verteilung des Artikels.

Fragen zum Fall:

  1. Darf Matthias eine gedruckte oder eine eingescannte Kopie des Artikels in Papierform machen und diese dann an seine Studenten verteilen?
  2. Darf Matthias den digitalisierten Artikel auf die Lernplattform LMS (“learning management system*”) der Universität hochladen ?
  3. Darf Matthias den Artikel verändern, bevor er ihn an seine Studenten verteilt?
  4. Darf Matthias den eingescannten Artikel einem Freund schicken?

Lernziele:

  • Anwendung der Schrankenbestimmung zum schulischen Eigengebrauch gemäss den Bestimmungen des Schweizerischen Urheberrechts.
  • Auseinandersetzung mit den erlaubten Nutzungen innerhalb des schulischen Eigengebrauchs.
  • Erkennen der Unterschiede zwischen der Nutzung von gedruckten und digitalen Zeitschriften in Bezug auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts (des Gesetzes eines jeweiligen Landes)

Hinweise:

  • Lesen Sie den Fall nebst den Fragen und den Lernzielen sorgfältig durch
  • Sie werden durch den Fall mittels einer speziellen Methodologie geführt, die auf den folgenden Fragen basiert:
    1. WO… wird ein Werk verwendet und welches nationale Recht ist anwendbar?
    2. WAS…ist ein geschütztes Werk?
    3. WIE… dürfen andere ein Werk nutzen?
    4. WER…hat die Urheberrechte am Werk?

Diese Methodologie kann in allen Fällen angewendet werden, in denen sich urheberrechtliche Fragen zur (Be-)Nutzung eines Werkes durch einen Nutzer oder eine Nutzerin stellen.

  • Antworten Sie auf die gestellten Fragen und sie erhalten von uns die Lösung gemeinsam mit einer kurzen Erklärung.
  • Am Ende des Falles finden Sie kleine Abwandlungen des ursprünglichen Falls, sowie eine Zusammenfassung, die noch einmal die Hauptfragen sowie die wichtigsten Fakten darstellt. Letzteres kann in Form einer Übersicht heruntergeladen werden.

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*LMS: eine Lernplattform, die online Austausch und Zusammenarbeit zu Ausbildungszwecken ermöglicht

Kommen wir nun wieder zurück auf die Fragen, die am Anfang des Falls gestellt wurden:

  • Darf Matthias eine gedruckte oder eine eingescannte Kopie des Artikels machen und diese dann in Papierform an seine Studenten verteilen?

Ja, wegen der Schrankenbestimmung zum schulischen Eigengebrauch (Art. 19 Abs. 1 lit. a URG) darf Matthias eine gedruckte oder eine eingescannte Kopie des Artikels machen und diese dann in Papierform an seine Studenten verteilen. Diese Schrankenbestimmung ist zwingend einzuhaltendes Recht. Anderslautende vertragliche Bestimmungen oder Allgemeine Geschäftsbedingungen, wie hier diejenigen der Zeitschrift, sind in dem Fall unwirksam.In unserem Fall darf Matthias den Artikel auch vollständig kopieren, da ein einzelner Artikel – im Gegensatz zu einer gesamten Zeitschrift – nur ein Auszug einer Zeitschrift ist und daher nicht als das im Handel erhältliche Werk gilt (vgl. dazu BGE 140 III 616).

  • Darf Matthias den digitalisierten Artikel auf die Lernplattform LMS (“learning management system”) der Universität hochladen?

Ja, Matthias darf den digitalisierten Artikel auf die Lernplattform LMS (“learning management system”) der Universität hochladen. Das ist durch die Schrankenbestimmung zum schulischen Eigengebrauch gedeckt. Trotzdem ist es notwendig, dass der Inhalt auf der Lernplattform durch ein Benutzerkennwort und ein Passwort geschützt ist, damit sichergestellt wird, dass der Inhalt nur zu Unterrichtszwecken verwendet wird.

  • Darf Matthias den Artikel verändern, bevor er ihn an seine Studenten verteilt?

Ja, Matthias darf den Artikel verändern. Der Ausdruck “jede Werkverwendung” im Zusammenhang mit der Schrankenbestimmung zum schulischen Eigengebrauch umfasst auch die Möglichkeit, das Werk zu ändern.

  • Darf Matthias den eingescannten Artikel an einen Freund schicken?

Matthias darf den Artikel an einen Freund schicken (auch wenn er im Ausland wohnt*). Die Verwendung eines Werks im persönlichen Bereich d.h. innerhalb eines eng verbundenen Personenkreises ist durch die Schrankenbestimmung des privater Eigengebrauchs Art. 19 Abs. 1 lit. a URG erlaubt.

* der Versand ins Ausland ist allerdings nur zulässig für den privaten persönlichen Eigengebrauch, im Rahmen des übrigen Eigengebrauchs (schulischer und betriebsinterner) ist er nicht erlaubt.

Zur Erinnerung:

  • Achtung: in dieser Fallstudie ging es um ein Printmedium und nicht um ein E-Journal. Im Fall von E-Journals wird es schwieriger, das anwendbare Recht zu bestimmen.
  • Erinnern wir uns daran, dass der Inhaber des Urheberrechts nicht zwingend auch der Autor eines Werks sein muss, sondern auch eine dritte Person sein kann.
  • Es ist möglich, ein urheberrechtlich geschütztes Werk zum schulischen Eigengebrauch ohne Einwilligung des Rechteinhabers zu verwenden. Grundsätzlich darf dann aber nicht das gesamte Werk, sondern nur Auszüge davon vervielfältigt oder verbreitet werden (Ausnahme: ein Artikel einer Zeitschrift, der nur als Auszug dieser Zeitschrift, also des Gesamtwerks, anzusehen ist)